Die zunehmende Prekarität des Lebens oder: Die allgemeine Bedrohung |
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Der Begriff "prekär" heißt soviel wie "schwierig, bedenklich, misslich". Mit dem Begriff der "Prekarität" wird das Leben gesellschaftlicher Gruppen bezeichnet, die kein oder nicht ausreichend Einkommen erhalten, um menschenwürdig leben zu können. |
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Die "Agenda 2010" setzt den Hebel bei den Arbeitslosen an, um letztlich auch die noch Arbeitenden zu treffen. Beide werden gegeneinander ausgespielt, zu Sozialschmarotzern bzw. Arbeitsplatzbesitzern stilisiert. Auf diese Weise wird eine allgemeine Verunsicherung erzeugt. Prekarität meint mehr als Verarmung, Niedriglohn-Sektoren und Teilsegmente des Arbeitsmarktes. Prekarität ergreift alle Lebens- und Arbeitsbereiche. Für immer mehr Menschen wird die Existenzsicherung unter Vorbehalt gestellt: Gibt es einen Folgeauftrag? Wird mein Vertrag verlängert? Wird das Weihnachtsgeld oder Urlaubsgeld gestrichen? Wird der Betrieb geschlossen oder verlagert? Werde ich übernommen? Lande ich bei "Hartz IV"? Reicht das Geld - für den Urlaub, für die Ausbildung der Kinder, fürs nackte Überleben? Was passiert, wenn ich krank oder alt bin? Wenn ich ein Pflegefall werde oder jemand aus der Verwandtschaft? Diese grundsätzliche Verunsicherung erfasst alle Bereiche, und auch gut verdienende Freiberufler, Projektleiter etc. wissen sich bedroht. Nie war der Krankenstand so niedrig wie im letzten Jahr - und es ist kaum anzunehmen, dass die Menschen gesünder geworden wären, eher ist mit der Furcht um den Arbeitsplatz und mit zunehmender Neurotisierung zu rechnen. Diese Verunsicherung ist der eigentliche Inhalt der Agenda 2010. Es geht darum, die sozialen Sicherheitsbedürfnisse als „Vollkaskomentalität“ nachhaltig zu diskreditieren und Individualismus mit totalitärem Anpassungsdruck zu bekämpfen. Ein kluger Gewerkschaftssekretär hat das mal so formuliert: "Der Sinn der sozialpolitischen Misere erfüllt sich vor allem darin, dass sich die Menschen fortlaufend nur noch mit ihrer ökonomischen Lage beschäftigen sollen." Unter den Bedingungen der Prekarität wird mehr gearbeitet als je zuvor, es wird Arbeitskraft mobilisiert, wie kaum jemals zuvor, doch die Arbeit sichert keinen Wohlstand mehr, keine Zunahme an Freizeit. Je mehr "die Arbeit" ideologisch aufgewertet wird, desto fragwürdiger wird ihre Funktion. Das konfuse Gefühl allgemeiner Bedrohung wird gesteigert, indem immer neue Vorschläge unterbreitet werden, wie der Sozialstaat weiter zersetzt werden könnte. Zugleich wird medial das Leitbild vom allzeit motivierten und stets flexiblen Menschen geboten. In einer Atmosphäre von Druck und Zwang ist dieses Leitbild so absurd wie der Befehl: Sei spontan! Die ganzen Hartz-Gesetze wurden als sogenannte "Reform der Arbeitsmarktes" propagiert, aber gerade der Marktcharakter des Arbeitsmarktes ist durch sie zerstört worden. Erstens setzt der Begriff des Marktes voraus, dass Angebot und Nachfrage einander begegnen. Aufgrund der durchschnittlichen Produktivitätssteigerung ist das Arbeitsvolumen jedoch gesunken. Das heißt, bei Beibehaltung der langen Arbeitszeiten werden natürlich zunehmend weniger Arbeitende gebraucht. Einem steigenden Angebot an Arbeit begegnet die sinkende Nachfrage nach Arbeit. Zweitens schließt der Begriff des Marktes aus, dass man zur Teilnahme an ihm bedingungslos gezwungen werden kann. Marktteilnahme basiert immer auf Freiwilligkeit. Das heißt z. B.: Der Sklavenmarkt war nicht für den Sklaven ein Markt, sondern nur für den Sklavenhändler, denn nur dieser ist der Marktteilnehmer gewesen, der Sklave hingegen die Ware. Die Nachfrage nach Arbeitenden kann heute nur politisch durch Verkürzung der Arbeitszeit erreicht werden. Anders ist die weitere Entwertung von Arbeit nicht zu stoppen. Um den Arbeitspreis zu steigern, muss Arbeit knapp werden. Erst unter Bedingungen annähernder Vollbeschäftigung bei weit geringeren Arbeitszeiten steigt die Verhandlungsmacht der Gewerkschaften bei der Preisbildung von Arbeit wieder an. Mit den Löhnen steigt die Güternachfrage. Doch wer sind die lachenden Dritten? Die lachenden Dritten mögen einstweilen die Unternehmer sein. Sie überbieten sich in Zynismus. Fordern die einen die Verlängerung der Wochenarbeitszeit, fordern die anderen bereits die Verlängerung der Lebensarbeitszeit. Was hieße die Erfüllung solcher Forderungen im Ergebnis? Natürlich nichts anderes als die weitere Steigerung der Massenarbeitslosigkeit, denn je mehr die Arbeitenden arbeiten, um so weniger bleiben von ihnen übrig. Hinzu kommt, dass die jährliche Steigerung der Produktivität, die in Deutschland bei ca. 2 Prozent liegt, seit Jahren nicht mehr durch Arbeitszeitverkürzung oder Reallohnsteigerung ausgeglichen worden ist. Mithin musste sich die Steigerung der durchschnittlichen Produktivität als Steigerung der Arbeitslosenquote auswirken. Die lachenden Dritten lachen nur dann mit guten Gründen, wenn sie für den Export produzieren. Auch der Sachverständigenrat hat zugegeben, dass in den letzten Jahren der Binnenmarkt in Deutschland das eigentliche Problem darstellt, während der Export Rekorde erreicht hat. Für Unternehmen, die für den Binnenmarkt produzieren, hat der Lohn der Arbeitenden hingegen eine nicht zu unterschätzende Nachfrage-Funktion. Ohne Nachfrage gerät aber der Binnenmarkt in die unterkonsumtive Krise. Die Prekarität hat inzwischen einen bedeutsamen Teil der Bevölkerung erreicht, in Deutschland 25 Millionen Menschen. Diese Summe ergibt sich aus 8 Millionen Menschen, die einer sozialversicherungspflichtigen Arbeit nachgehen, deren Einkommen jedoch so gering sind, dass sie keine Steuern zahlen. Hinzu kommen 12 Millionen in nicht-versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen und 5 Millionen Erwerbslose. Wenn sich diese 25 Millionen Menschen politisch bewußt organisierten, könnte die Unsicherheit des Lebens bald beseitigt sein. Mindestforderungen, um den Prekarisierungsdruck nicht weiter zu steigern, wären: |
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Auch bei Erfüllung dieser Forderungen wäre die Arbeitslosigkeit nicht verringert, lediglich ihr weiterer Anstieg. Auch die Tendenz zur Deflation wäre noch nicht gebannt, doch wenigstens nicht gesteigert. |
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