FDP: "In Deutschland kriegen die Falschen die Kinder" - sozial-darwinistische Bildungspolitik "für" Deutschland

Nach Ansicht des FDP-Bundesvorstandsmitglieds Bahr braucht Deutschland mehr Kinder aus Akademiker-Familien. "Es ist falsch, dass in diesem Land nur die sozial Schwachen die Kinder kriegen", sagte Bahr. Deutschland gebe viel Geld aus, um sozial schwachen Familien zu helfen. Die Politik habe dagegen versagt, Akademiker bei der Erfüllung ihres Kinderwunsches zu unterstützen.
Bahr verwies auf Studien, nach denen sich rund 80 Prozent der deutschen Studentinnen mindestens ein Kind wünschen. Dennoch seien 44 Prozent der Akademikerinnen zwischen 35 und 39 Jahren in Westdeutschland kinderlos. Um Anreize für Akademikerinnen zu schaffen, solle sich die Steuerpolitik künftig daran ausrichten. Eine allgemein steigende Geburtenrate allein helfe nicht weiter, begründete Bahr seinen Vorstoß. Dass so wenig Kinder in Akademikerfamilien aufwüchsen, ziehe weitere Probleme nach sich. So hänge laut Pisa-Studie in Deutschland der Lernerfolg eines Kindes stark vom Bildungsniveau der Eltern ab. Wenn Hochschulabsolventinnen künftig mehr Kinder bekämen, stünde Deutschland auch bei der Pisa-Studie besser da, so Bahr.

Was hat der 28-jährige Bahr, selbst kinderlos, damit aussagen wollen?
Wollte er mit seiner Ausage Ressentemants schüren? - Vermehren sich die ärmsten und doofsten Menschen nicht am meisten?!

Hat ein mittelmäßig begabter Arztsohn bessere Chancen aufs Gymnasium zu kommen als ein wirklich überdurchscnittlich begabtes Arbeiterkind?
Einst sind die Liberalen gegen die Statusprivilegien der Aristokratie angetreten, die sich aus der Geburt herleiteten. Die Liberalen haben sich für den Wettbewerb unter günstigen Ausgangsbedingungen unter Chancengkleichheit eingesetzt. Daher forderte die FDP noch in den 70er Jahren die Erhöhung der Erbschaftssteuer, denn große Erbschaften erzeugen Chancenungleichheit.
Solche Einsichten sind in der heutigen neoliberalen FDP nicht mehr zu erhoffen. Bahr geht es sogar um Elitezüchtung und um die weitere Kürzung der Kosten, die für sozialstaatliche Chancengleichheit ausgegeben werden.

Besonders perfide ist seine Auswertung der Pisa-Studie.
Die Pisa-Studie besagt, dass in Deutschland so stark wie in keinem anderem Industrieland der Bildungserfolg der Kinder vom Einkommen und vom Bildungsniveau der Eltern abhängt.
Bahr leitet daraus ab, der Anteil der Kinder von Eltern mit hoher Bildung sei zu gering. Er meint, dass in Deutschland mit "dem Kinderkriegen" etwas nicht stimmen kann.
Die Unterschicht vögele zuviel und deren Nachwuchs erzeuge auch noch soziale Kosten, während der Wille zur Zeugung unter Akademikern erlahme.

Andere polit. Lösungen, um die Pisastudie zu verbessern, liegen indes weit näher.
Keiner - wirklich keiner - kann sich aussuchen, in welche sozialen Umstände er hineingeboren wird.
Auf die Idee, mehr Arbeiterkinder Akademiker werden zu lassen, kommt Bahr natürlich nicht.
Als Politiker könnte man auch zu der Einsicht gelangen, dass es an den Bedingungen der Möglichkeit für Chancengleichheit mangeln muss, dass also das Bildungssystem verbessert werden sollte, wenn die Bildung der Eltern in Deutschland so eine große Rolle spielt.

Offenbar ist es in anderen Ländern möglich, dass viel mehr Kinder auch aus den unteren Schichten überhaupt die Hochschulreife schaffen.
Deutschland stünde bei der Pisa-Studie wesentlich besser da, wenn sich beherzte Akademiker finden würden, die unser marodes Schulsystem reformieren.
Dass dies möglich ist, zeigte das Abschneiden unser Nachbarlandes Polen, welches uns seit der letzten Studie um Längen überholt hat - ganz ohne Züchtung einer Akademikerelite.

Nicht die Gebildeten müssen mehr Kinder bekommen und die Ärmeren weniger - sondern alle Kinder müssen mehr Bildung bekommen! Die Politik sollte darauf ausgerichtet sein, jedem Kinde ein Bildungsniveau zu ermöglichen, dass seine Fähigkeiten optimal ausschöpft - und das heißt konkret: Kinder aus sozial schwächeren Schichten sollten zum Beispiel durch kostenlose Kurse und sinnvolle Beschäftigungsmöglichkeiten gefördert werden.
Denn könnte eine Gesellschaft es sich leisten, einem potenziellen Einstein II auf der Hauptschule unbeachtet zu lassen, nur weil seine Eltern kein Geld für eine bessere Bildung besitzen?

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