Zeitdokument eines Verbrechens
In Leipzig stationierter Amerikaner organisiert die Bestattung der Abtnaundorfer Nazi-Opfer vom 18. April 1945
Die Leipziger Gruppe Gedenkmarsch hat von Historiker Roland Geiger aus St. Wendel einen Originalbericht erhalten und, wie Richard Gauch von der Initiative berichtet, von einem englischen Spezialisten übersetzen lassen. Den Bericht hatte der im April 1945 in Leipzig stationierte Amerikaner Lieutenant Wiliam G. Frost damals seiner Dienststelle in Washington überstellt. Ein Zeitdokument, das die Ereignisse um das Nazi-Verbrechen am 18. April 1945 im KZ-Außenlager Abtnaundorf beleuchtet. Heute jährt sich dieser Tag. Und die Zeilen* des Amerikaners, von dem hier zu Lande nicht viel mehr als der Name bekannt ist, rücken ihn schmerzhaft in die Gegenwart:
Die erste Seite des Originalberichts von Wiliam G. Frost.
Quelle: Gruppe "Gedenkmarsch"-Leipzig
"Bericht über ein grausames Verbrechen" - 606th Quartermaster Graves Registration Company - 1st Lt. Willam G. Frost Leipziger Südfriedhof, 27. April 1945.
Der Auftrag:
Am 24. April 1945 um 16 Uhr meldete ich mich bei Colonel Rhodes. Er umriss den Auftrag, in dem er mir sagte, dass in Leipzig ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit gemeldet wurde und man einen Offizier von der Grave Registration vor Ort wünsche, der sie in technischen Details im Zusammenhang mit der Auswahl der Begräbnisstätte, der Bestattung, Registrierung etc. unterstützt und die Arbeiten überwacht. Ich wurde angewiesen, alle Arbeiten durch zivile Arbeiter durchführen zu lassen. Diese sollen aus allen Schichten der Stadtbevölkerung zusammengestellt werden.
Leipzig, Hauptquartier des Provisional Detachment "A":
Ich meldete mich im Hauptquartier des Provisional Detachment "A" der Leipziger Militärverwaltung und wurde dem Lt. Harwell von der Abteilung "öffentliches Gesundheitswesen" zugeordnet. Er war für die weitere Behandlung der Leichen von Zwangsarbeitern aus Russland, Polen usw. zuständig, welche innerhalb oder außerhalb der Stadt gestorben waren. Einige hatten aus Versehen Bremsflüssigkeit getrunken und waren an Vergiftung gestorben; andere starben, als die Stadt angegriffen wurde, wieder andere an Unter ernährung. Wir besprachen meinen Auftrag sorgfältig. Er sagte, dass die hiesigen Zivilisten die zivilen Toten sammelten und beerdigten.
25. April 1945 - Einsatzstelle Leipzig
Ich meldete mich bei Colonel Jim Dan Hill und traf Lt. Colonel Perman, mit dem ich nun zusammenarbeiten sollte. Ich informierte ihn über meinen hiesigen Einsatz und bot meine Dienste an, indem ich ihm sagte, es würde mir eine Ehre sein, ihn in dem Fall unterstützen zu dürfen.
25. April 1945 - Südfriedhof:
Mit Lt. Colonel Perman fuhr ich zum Friedhof, bei dem es sich um einen sehr großen städtischen Friedhof neben dem Napoleon-Denkmal handelt. Wir besichtigten einen Teil des Friedhofs, wo nur Leipziger Bürger von hohem, offiziellem Rang beerdigt sind. Wir betrachteten einen langen hangseitigen Platz, der durch hohe Sträucher und Blumen begrenzt war. Dem Lt. Colonel Perman gefiel er sehr gut. Ich meinte, es sei zu berücksichtigen, dass die potenzielle Begräbnisstätte eine Art Schrein sein sollte, der den deutschen Bürgern die Art des grausamen Verbrechens vor Augen führen sollte. Weil dieser Platz schwer zugänglich und ziemlich abgelegen war, wäre es wohl besser, einen auszusuchen, der besser zugänglich und gleichzeitig öffentlicher und sichtbarer wäre. Wir fuhren also weiter herum und hielten vor der Kapelle an. Vor uns erstreckte sich - etwa eine Viertelmeile lang - der Hauptzufahrtsweg zum Friedhof. Die Straße bestand aus zwei Fahrstreifen mit Grünflächen in der Mitte. Hier - so empfahl ich - wäre der ideale Ort. Jeder, der durch das Haupttor auf den Friedhof kam - sei es für eine Beerdigung oder für einen einfachen Besuch - musste die Gräber der Opfer sehen. So wurde beschlossen, die Bestattung hier vorzunehmen.
Ich besorgte mir einen Dolmetscher und ging zu einem örtlichen Tischler. Aber seine Tischlerei schien ausgebombt worden zu sein, und er konnte nicht ausfindig gemacht werden. Also besorgte ich mir die Anschrift einer anderen Schreinerei und gab die Fertigung der benötigten Stangen in Auftrag. Ich fertigte eine Skizze an und orderte auch 75 Kreuze nach genauen Vorgaben. Die Rechnung sollte durch die Stadt Leipzig gezahlt werden. Ich sagte dem Unternehmer, dass ich die Stangen innerhalb von zwei Stunden benötige und die Kreuze morgen Nachmittag um 16 Uhr abgeholt würden.
Ein altes Blatt Papier mit Frosts Skizze, wie die Begräbnisanlage auf dem früheren Südfriedhof-Haupteingang aussehen sollte, fand sich auch an.
26. April 1945 - Das Graben der Gräber
200 deutsche Zivilisten, die einen Querschnitt der Zivilbevölkerung von Leipzig darstellten, wurden uns zugewiesen, um die 75 Gräber zu graben. Die Gräber wurden so, wie sie in der beigefügten Skizze eingezeigt wurden, ausgerichtet. Der erste Bereich bestand aus 38 Gräbern - zwei Reihen zu je 19. Der zweite Bereich bestand auch aus zwei Reihen, eine Reihe mit 19, die andere mit 18 Gräbern. Dies ergibt eine Gesamtsumme von 75 Gräbern. Sie wurden gut sechs Fuß tief gegraben, hatten vier Fuß in der Breite und acht in der Länge.
Einige Männer mussten die Bombenkrater auffüllen, welche sich außerhalb des Haupttores befanden. Weitere zwei Bombenkrater haben die Hauptzufahrtsstraße innerhalb des Friedhofs beschädigt. Der Friedhofsdirektor beschwerte sich, dass die Männer nicht Krater füllen und Gräber graben zugleich könnten, dass sie nicht einmal dies oder einmal jenes oder gar andere Sachen tun könnten. Ich erklärte ihm sehr deutlich, dass wir diese Arbeiten erledigen mussten - Gräber graben, Krater füllen, das ganze Gebiet säubern - und erst wenn die Arbeit zu meiner Zufriedenheit erledigt wäre, dann dürften die Männer wieder nach Hause gehen. Und, dass ich sie selbst bis acht Uhr abends hier behalten würde, sofern dies notwendig sein sollte. Sie wollten schon um vier Uhr gehen, damit sie rechtzeitig zur Sperrstunde zu Hause wären. ... Ich stellte einen einfachen Passagierschein aus und ließ durch den Friedhofsdirektor davon 200 Exemplare nachfertigen, die von den Offiziellen der Militärverwaltung nur noch unterschrieben und abgestempelt werden mussten.
Die Kränze wurden kontrolliert. Sie bestanden aus Grünpflanzen mit einer Girlande aus gelben Narzissen. Ich schlug vor, dass zehn oder fünfzehn weiße Narzissen jedem Kranz hinzugefügt werden. Ich überprüfte auch das "Rostrum" (ein kleiner Hügel, vermutlich mit Gedenkplakette) und schlug vor, dass es mit Grünpflanzen bedeckt und durch einen einfachen Kranz geschmückt wird. Auf jede Seite sollte je ein kleiner Baum eingepflanzt werden. Nachdem alle Gräber gegraben waren, wurde die ausgehobene Erde zu kleinen Wällen am Rande der Grabbereiche aufgehäuft. Ihre Höhe war willkürlich, aber dennoch niedrig genug, damit man die Särge vom Fahrweg aus sehen konnte. Die Wälle wurden mit immergrünen Büschen bepflanzt, alle führten parallel zum Fahrweg. Die Särge wurden auf den Stangen über den Gräbern platziert. Ihre Ausrichtung wurde zu meiner Zufriedenheit von einem Arbeiter mit einer Schnur überprüft. Auf jeden Sarg wurde ein einfaches Pappkreuz aufgeheftet. Nachdem alles fertig war, wurden die Arbeiter entlassen. ... Ich meldete mich bei der Militärverwaltung zurück und traf mit dem dortigen Polizeichef die Vereinbarung, eine Wachmannschaft aus zivilen Polizisten um die Särge herum zu postieren. ...
Abtnaundorf - Szene des scheußlichen Verbrechens 18. April 1945
Die Flugzeugfabrik lag im Nordosten der Stadt, Das Konzentrationslager war hinter der Fabrik. Man erzählte mir, dass die Deutschen am 18. April 1945 ca. 300 Gefangene gezwungen hatten, in eine Baracke zu gehen, diese dann mit Benzin übergossen und in Brand geschossen hatten. Als die Gefangenen mit brennenden Kleidern herausstürmten, wurden sie von den Wachen erschossen. Sie fielen in groteske Stellungen und verbrannten. Einige waren auf Händen und Knien, andere lagen auf dem Rücken, die Beine in die Luft gestreckt, hingen im elektrisch geladenen Stacheldrahtzaun, und einer war ein Gehbehinderter, der auf dem Rücken lag, seine verkohlte Krücke neben sich. Drei hatten es über den Zaun geschafft, waren aber dann von einem Panzer außerhalb des Lagers erschossen worden. Von der Baracke blieb nichts mehr übrig - außer verkohlten Steinen und die Überreste menschlichen Fleisches. Ein Haufen war eine verwirrte Masse verdrehter und verkohlter Stücke, die Überreste von etwa 20 Körpern. Alle Leichen - mit Ausnahme von 3 oder vielleicht 4 Körpern - waren bis zur Unkenntlichkeit verbrannt. Die meisten von ihnen wiesen Einschusslöcher auf. Manche wurden hinsichtlich Erkennungsmarken oder anderer Kennzeichen überprüft, aber nichts konnte gefunden werden. Ich fand einige Belegungspläne der Baracken mit Namen und Nummern, die ich an Major Eaten, MGO, übergab. Ich gab ihm die Anschrift von Major Bolker, WCIT 6822, der den Fall untersucht. Etwa 100 Menschen konnten entkommen, aber es war unmöglich abzuschätzen, wie viele Leichen dort in der Asche und in den verkohlten Überresten lagen. Als Ergänzung ist zu sagen, dass die örtlichen Bestattungsunternehmer 75 verkohlte Leichen bargen. Man bettete sie in gleichförmige, mahagonifarbene Särge.
Die Amerikaner kamen am Morgen des 19. April. Nur ihre frühe Ankunft bewahrte einige internierte Frauen davor, das gleiche schreckliche Schicksal zu erfahren.
Das Mahnmal in Abtnaundorf erinnert an das damalige KZ- Buchenwald-Außenlager
27. April 1945 - Das Begräbnis
In Erwartung möglichen Ärgers mit feindlich gesinnten Personen wurden vier Halbkettenfahrzeuge zur Überwachung der Bestattungsfeierlichkeiten eingesetzt. Ich beriet mich mit dem Field Artillery Lieutenant, der sie befehligte, und half ihm dabei, seine Halbkettenfahrzeuge an strategisch wichtigen Kreuzungen, dem Haupttor und an der Kapelle zu postieren. Zusätzlich wurde der Turm der Kapelle kurz vor Beginn der Zeremonie nach Heckenschützen abgesucht.
Die Prozession formierte sich am Haupttor und zog in die Richtung, welche die Pfeile in meiner beigefügten Skizze anzeigen. 100 Zwangsarbeiter aus einem nahe gelegenen KZ-Außenlager schritten voran. Sie trugen ihre verschiedenen Nationalflaggen mit sich, Ihnen folgten Colonel Hill und sein Gefolge, bestehend aus zwei weiteren Colonels, einem Major, einem Dolmetscher und mir selbst. Danach kamen ein deutsche Zivilisten. Unter ihnen Vertreter der Stadtverwaltung, der Wirtschaftskammer und anderer ziviler Organisationen. Der Direktor der Leipziger Universität, Pfarrer der Thomaskirche, Herr Dr. Schumann und andere Stadtoffizielle nahmen ebenfalls teil. Sie trugen alle Zylinder und lange schwarze Mäntel.
Die Bestattungsrituale zu diesem Massenbegräbnisse waren einfach, aber würdevoll. Die katholischen, jüdischen und protestantischen Bestattungsrituale wurden von Kaplan Charles V. McSween (190th Field Artillery Group), Goldstein vom V Corps und Kaplan W. E. MacCrory (190th Field Artillery Group), ausgeführt. Als passenden Abschluss spielte ein Trompeter, der vor der Kapelle stand, das Abschiedssignal ("taps"). Nach der Beerdigungszeremonie versammelten sich die Zwangsarbeiter um die Särge und legten zusätzliche Blumen darauf.
Nachdem der Ehrenzug abgezogen war, wurden die Särge in die Gräber hinabgelassen, und zivile Arbeiter bedeckten sie mit Erde. Dem Friedhofsdirektor wurde die Anweisung erteilt, dass die Kreuze auf gleiche Weise eingesetzt und der Länge nach und zur Seite ausgerichtet werden sollten.
... Nachdem ich meine Arbeit erledigt hatte und ich nicht weiter helfen konnte, meldete ich mich bei Colonel Hill ab und fuhr zurück zu meiner Einheit.
Wiliam G. FROST, Ist Lt. QMC 606th QM GR Co.; Berichtseingang - NND 735017 - 04. Mai 1945
Zusammengestellt/leicht gekürzt:
Angelika Raulien